Wir treffen uns in der Villa Solitude mit Nonno Kaltenbrunner und Uki Bellmann zu einem Gespräch beim Abendessen. Uns interessiert die Historie – aus ihrer Sicht. Sie entstammen den zwei Familien, die über Jahrzehnte hinweg Bad Gastein dominiert haben. Auf der einen Seite stand die Familie Straubinger, der sogenannte Platzhirsch, auf der anderen die Familie Windischbauer, deren Imperium von einem Mann aufgebaut wurde. Wir haben die Nachfahren der verfeindeten Familien an einen Tisch gebeten.
Als wir eintreffen, werden wir bereits von Nonno erwartet. Er sitzt bei einem gemütlichen Glas Wein und begrüßt uns herzlich. Wir wollen gleich loslegen.
GT: Wie war das denn damals in Bad Gastein zu den Glanzzeiten?
Nonno: Da gab es eine Familie, die über 14 Generationen den Ort in den Händen hielt. Das war die Familie Straubinger. Seit dem 15. Jahrhundert befinden sich Objekte in deren Besitz. Dann kam meine Familie um 1840. Sie gehörte zu den Neureichen. Mein Urgroßvater hat sich große Kämpfe mit den Straubingers geliefert. Da war Hass über mehrere Generationen.
GT: Wie konnte ihr Urgroßvater gegen Peter und Carl Straubinger antreten?
Nonno: Mein Urgroßvater war ein sehr listenreicher, erfindungsreicher Mann. Er hat sein Geld in kürzester Zeit gemacht. Die dominierende Familie hat natürlich versucht, ihn mit allen möglichen Mitteln zu unterdrücken. Aber als Aloys Windischbauer nach Bad Gastein kam, war er gerade einmal 21 Jahre alt und hatte nicht mehr als 60 Gulden in der Tasche. Das war 1867.
GT: Wie verdiente er so viel Geld?
Nonno: Er betrieb eine Wechselstube im Ort.
Eine jugendlich aussehende Dame in eleganter Kleidung betritt den Raum. Es ist Uki Bellmann.
Nonno: Begrüße Dich! Wir reden gerade von dir und unseren Ahnen!
Sie begrüßen sich.
Nonno: Jetzt vertragen wir uns wieder. Aber erst seit dieser Generation.
Nonno zu Uki: Ich hab jetzt nur schlecht über dich geredet. Das Messer steckt dir hinten noch im Rücken!
Sie lachen.
Nonno: Mit uns begann die Auseinandersetzung mit unseren Urgroßvätern, die sich wirklich alles angetan haben, was man sich nur antun kann. Mein Urgroßvater konnte einige Hotels erbauen. Trotzdem waren die Familie Straubinger und das alte Geld tonangebend.
GT: Wie ist dieser Reichtum entstanden?
Nonno: Es war die Zeit des Rheumatismus. Dagegen gab es noch keine Pillen, also musste man Bäder nehmen. Wir hatten das Glück, dass die Aristokratie, die Herrscherhäuser zu uns gekommen sind. Der gute Wilhelm der Erste von Preußen, deutscher Kaiser, ist über 20 Jahre zur Kur nach Bad Gastein gereist. In dieser Zeit ist Bad Gastein von einem mittelalterlichen Badeort zu einem Weltkurort geworden. Das war zwischen 1860 und 1890.
GT: Wie ging´s dann weiter?
Nonno: Es wurden immer mehr Hotels gebaut, die Kategorien wurden besser, größer, schöner. Das Ganze war wunderbar, bis der Erste Weltkrieg gekommen ist. Da haben sie sich alle ausradiert. Der Großteil des Publikums fiel weg. Nach dem Ersten Weltkrieg hat man dann mit Müh und Not wieder aufgebaut. Bis zum neuerlichen Zusammenbruch 1928. Dann kam 1933 die 1000-Mark-Sperre. Das war katastrophal für den Ort. Wir sind dann Hitler-Anhänger geworden. Nicht, weil wir ihn so geliebt haben, aber wir mussten Geld verdienen.
GT: Die Deutschen mussten 1000 Mark alleine für die Einreise bezahlen?
Nonno: Das war damals eine enorme Summe! Das überlegt man sich zweimal. Während des Krieges war der Ort dank des Militärs gut ausgelastet. Danach herrschte wieder totaler Stillstand. Die Hotels wurden geplündert, es war furchtbar. Wir mussten bei null anfangen. Die 50er-Jahre waren recht erfolgreich, es trat dafür eine neue Problematik auf: Wunderschöne alte Hotels mit unzureichendem Komfort.
GT: Keine Bäder in den Zimmern ...
Nonno: Genau. Wunderschön zum Anschauen, aber nicht zu bewohnen.
Uki: Außerdem handelte es sich früher um einen reinen Sommerbetrieb! Die Hotels hatten nur einfache Fenster, das machte sie im Winter praktisch unheizbar!
Nonno: Alle Hotels wurden in den 1880er-Jahren für eine reine Sommersaison von Mai bis September gebaut. In dieser Zeit wurde unglaublich viel Geld verdient. Man konnte sich damit fast ein neues Hotel erarbeiten, denn es gab kaum Personalkosten. Die leitenden Angestellten der Hotels bezahlten sich selbst. Wenn ein Oberkellner vom Hotel Straubinger in Pension gegangen ist, stand ein anderer bereits wartend, um ihm seinen Posten abzukaufen. Der Verdienst war gering, das Trinkgeld enorm! Ein oder zwei Golddukaten pro Gast bei der Abreise.
Uki: Die Steuern gab es in der Form auch nicht. Gearbeitet wurde für ganz wenig Geld mit Kost und Logis. Die waren froh, dass sie überhaupt was zu essen und eine Wohnung hatten. Das kann man sich heute alles gar nicht mehr vorstellen in unserem Sozialstaat.
GT: Wie ist Ihre Verbindung zur Familie Straubinger?
Uki: Meine Großmutter war eine geborene Straubinger und ihr Vater, mein Urgroßvater, das war der Peter Straubinger. Der hatte Dienstboten, Hausknechte vom Hotel Straubinger, die für ihn die Arbeit gemacht haben. Er war übrigens Postmeister von Bad Gastein und zuständig für den Weinkeller im Straubinger.
Nonno: Die Familie Straubinger hatte über lange Zeit hinweg dieses sehr einflussreiche Amt des Postmeisters inne.
Uki: Und der Bruder vom Peter war der Carl Straubinger, der Bürgermeister.
Nonno: Der längst dienende Bürgermeister überhaupt! Und berüchtigt!
GT: Berüchtigt?
Nonno: Weil er der Feind meiner Familie war!
Uki: Aber er war schon tüchtig. Er ist extra zum Franz Josef gereist wegen des Thermalwassers, damit das in Gastein bleibt. Ich glaube, der Franz Josef hat dann aus eigener Tasche bezahlt.
Nonno: Ja, das ist aus seinem Habsburg-Fonds gekommen. Damals gab es auch den Kampf darum, wo die Eisenbahnlinie verlaufen wird. Mein Urahn wollte ja die Bahn nach Gastein holen. Darum haben sich mehrere Orte und Täler bemüht. Kaiser Franz Josef hatte die Macht und den Einfluss zu sagen, ob die Bahn gebaut wird und wo. Mein Urahn wollte die Verbindung in seine Hände bekommen. Der kaiserliche Rat war intelligent und hat die Linie an einer anderen Stelle im Ort festgelegt, wo sie heute noch ist. Mein Ahn wollte sie im Tal, denn dort hatte er viele Grundstücke gekauft. Er wollte Geschäft machen.
Uki: Die Zeiten waren schon anders. Die haben dieses Wachstum und den Verdienst begünstigt. Es war reiner Kapitalismus. Carl Straubinger ist dann aber von seinem Bürgermeisteramt zurückgetreten. Er musste zurücktreten.
GT: War er nicht mehr beliebt?
Uki: Da gab es die Gugelhupf-Affäre. Sie zwang Carl Straubinger zum Rücktritt. Er hatte mehrere Söhne, darunter den Ludwig. Der war mit der Anna verheiratet, und die war im Streit mit der Frau vom Gemeindearzt in Böckstein. Im Streit sagte die Schwiegertochter zu der Ärztegattin: „Unseren Gugelhupf haben wir schon noch jeden Sonntag.“ Das war am Ende des Ersten Weltkrieges, also 1918. Die Leute hatten nichts. Diese Aussage ist unters Volk gekommen, und daraufhin musste der Bürgermeister zurücktreten. Das muss man sich einmal heute vorstellen! Was die Politiker heute alles aussitzen ...
Nonno: Danach ist mein Großvater gekommen und Bürgermeister geworden. Später kam mein Großonkel, der war der erste Sozi. Er wurde dann von den Eigenen abgesägt. Er hatte es gewagt, den Leuten zu sagen, dass sie mehr arbeiten müssen. Das hat ihnen nicht gepasst.
GT: Was waren denn eigentlich die einprägsamsten Erinnerungen aus der Kindheit?
Uki: Eine der einprägsamsten Erinnerungen war die Judenschule in meiner Nachbarschaft. Das war nach dem Krieg. Ich bin ‘38 geboren. Ich kann mich erinnern, dass in den großen Hotels wie dem Straubinger jüdische Flüchtlinge einquartiert waren. Und im Viktoria, der ältesten Villa, die Judenschule. Da ist ein Mäderl zu uns zum Klavierunterricht gekommen, durfte aber nicht damit spielen. Und das, obwohl unsere Familie gar keine Nazis waren!
GT: Wie kam´s dann?
Uki: Meine Familie war geteilt. Die mütterliche Seite war Anti-Nazi, die waren sehr katholisch. Mein Vater und seine Mutter waren bei der Partei. Deswegen war es wahrscheinlich so spannungsgeladen. Mein Bruder und ich hatten lange Zeit das Gefühl, unser ganzes Leben sei Krieg. Obwohl Gastein an sich ja nicht gefährdet war.
Nonno: Wenn sie meinen Namen nennen, erschauert es jeden Juden. Ein Cousin meines Vaters war der Dr. Ernst Kaltenbrunner, Rechtsanwalt aus Linz. Er war höchster SS-Mann in Wien. Und wurde von Hitler als Nachfolger von Heinrich ernannt. Das hat er natürlich beim ersten großen Prozess mit dem Tod bezahlt.
GT: Wie war das nach dem Zweiten Weltkrieg?
Nonno: Unser Hotel wurde von den Amerikanern besetzt. Es wurde, glaube ich, überall mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war.
Uki: Zu Kriegsende haben mindestens drei Leute pro Zimmer gewohnt. Auch Verwandte. Das waren eher zivilisierte Leute. Da ist nicht so viel kaputt gegangen. Die Hubertus war rappelvoll. Die Vermietung ging dann ‘47 wieder los, aber nur im Sommer. Aber um einmal über etwas Romantisch-Schönes zu sprechen: Die 50er-Jahre waren schön. Da waren Sommergäste aus Israel oder zurückgekehrte europäische Juden bei uns. Die sind wochenlang bis Monate geblieben. Die hatten bei uns am Dachboden die Koffer voll mit ihren erstandenen Gastein-Schätzen.
Nonno: Also in den 50er- und 60er-Jahren, das war schon unglaublich. In den Sommermonaten im Juli und August hat man wirklich geglaubt, man sei in einer anderen Welt. Rein jüdisches Publikum. Da haben sich ganze Großfamilien über Wochen getroffen und untereinander ihre Hochzeiten arrangiert. Es war eine sehr originelle Zeit. Ich war damals Kind und habe mich sehr gut unterhalten mit diesen Leuten. Ich habe Jiddisch gelernt. Es waren wahnsinnig nette und gebildete Leute. Ich habe mich immer gewundert, dass diese Generation immer wieder gekommen ist. Ich habe damals mit einem aus New York stammenden Juden gemeinsam „Mein Kampf“ gelesen. Sie waren sehr freundlich zu mir, aber ich war auch ein Kind.
Uki: Ich habe das aber auch erlebt. Sie sind ja in österreichische Häuser gegangen, als ob nichts gewesen wäre. Wir hatten eine Kurgastdame, die war aus Polen geflüchtet, Anna Fried. Sie hat uns sogar nach Israel eingeladen. Die in Gastein auf Urlaub waren, waren gewachsene Europäer und konnten alle sieben Sprachen.
Nonno: Es war ein irrsinnig gebildetes Publikum. Was die für eine Edukation hatten. Fantastisch. Ich werde es nie vergessen. Eine kleine Geschichte am Rande: Bei uns hat viele Jahre der Bürgermeister von Haifa gewohnt, der Abba Hushi. Das war ein reizender alter Herr mit seiner Frau. Ich habe damals, so wie alle, Bridge gelernt. Da gab es noch kein Fernsehen. Jeden Abend wurde gebridgelt. Daraufhin wurde ich vom Bürgermeister nach Haifa zu einem Bridge-Turnier eingeladen. Am Flughafen bot sich folgendes Bild: Flughafen eher klein, die Frau Bürgermeister erwartete uns mit Chauffeur und einer Gruppe von zehn Bridge-Damen, die begeistert schrien und tobten. Ich bin angekommen. Der Zöllner hat in meinen Reisepass geblickt, dann mich angesehen und gesagt: „Dass ich das erleben werde. Der Bürgermeister Hushi empfängt den Herrn Kaltenbrunner in Israel.“ Der hat natürlich sofort den Namen erkannt!
Uki: Durch das Alter warst du natürlich aus dem Schneider.
Nonno: Ich bin dann sofort zum Bridge spielen gefahren und eine Woche haben wir von in der Früh bis zum Abend nichts anderes gemacht. Von Israel habe ich nicht viel gesehen, aber gebridgelt haben wir halt. Das war ein Abenteuer.
GT: Wie würdet ihr eure Beziehung zu Bad Gastein beschreiben?
Uki: Wir sind geprägt. Alle Generationen. Bismarck sagte, Bad Gastein komme ihm vor wie eine Schüssel Grünkohl. Der war auch immer recht unglücklich hier. Er ist in unserem Garten gesessen, auf einem Bankerl, und hat mit einem Feldstecher auf die Schillerhöhe geschaut. Dort haben sich hinter seinem Rücken der Kaiser Franz Josef und der Kaiser Wilhelm getroffen. Das hat Ärger gegeben.
Nonno: Man weiß ja aus seinen Briefen, dass er gesagt hat, dass Gastein ein furchtbarer Ort ist.
Uki: Es wird damals nicht weniger geregnet haben als heute ...
Nonno: Franz Josef kam auch ungern, weil er ja eigentlich den Krieg verloren hatte. Er musste in Gastein immer Aufwartung machen, wenn der Wilhelm da war. Er hat im Straubinger gewohnt, der Franz Josef. Einmal machte man den Fehler, ihm die Kur einzureden. Merkwürdigerweise hat man ihn ins kalte Wasser und nicht ins warme Thermalwasser gesetzt. Das war sicher die Elisabeth. Die war ja sehr abgehärtet und ist hier immer den Berg hinauf und hinunter gerast.
Uki: Auf der Windischgrätz hat es damals schon einen Bauernhof gegeben. Da ist Elisabeth jeden Tag eingekehrt und hat dort ein Glas Milch getrunken. Es durfte aber niemand wissen, wer sie ist. Die Leute haben es natürlich gewusst, aber immer nur „Gnädige Frau“ zu ihr gesagt.
Nonno: Der Inkognito-Effekt. Das war wichtig, dass man normal bedient werden konnte und die Hofetikette nicht eingehalten werden musste.
GT: Wir sind in den 5oer-Jahren stehen geblieben ...
Uki: In den 50ern war alles sehr kulturell. Der Gulda und alle berühmten Musiker haben gespielt. Es gab im Sommer regelmäßig Konzerte. Vor dem Hotel Europe sind riesige amerikanische Autos gestanden. Das war total spannend, denn das hat man vorher nie gesehen. Langsam kam dann der Wintertourismus. Meine Familie hat sich aber dem Winter verweigert.
Nonno: Früher ist man eben auf Kur gefahren, drei Wochen geblieben. Ein Statussymbol.
GT: Und heute?
Uki: Heute ist so vieles anders. Ich würde mir wünschen, dass dort, wo jetzt das Straubinger und die anderen Hotels leer stehen, eine Kunsthochschule gemacht werden würde. Ähnlich wie das Mozarteum und mindestens so international. Denn dann hätten wir das ganze Jahr über Menschen und Belebung bei uns. Ein richtiges Kulturdorf im Zentrum. Das wäre ein Traum von mir. Man macht vielleicht nicht sofort ein Geschäft, aber durch diese Belebung würde der ganze Ort profitieren.
Nonno: Das ist eine schöne Idee. Uki, sag einmal, machst du mit mir einen Ausflug nach Schönau?
Uki: Ich bin jetzt eine Woche in Berlin, aber dann.
Nonno: Dann bin ich im Friaul. Aber dann.
Uki: Aber dann!
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