Logo

Qualität vs. Quantität

Markus Miessen: Herr Garstenauer, Sie sind 88 Jahre alt und arbeiten seit 1954 als Architekt. Ist Architektur eine undankbare Betätigung?

Gerhard Garstenauer: Mein ganzer Nachlass befindet sich bereits im Salzburger Museum. Bei der Aufbereitung meiner Unterlagen ist mir aufgefallen, dass ich sicherlich 60 Prozent meiner gesamten beruflichen Tätigkeit ohne Honorar gearbeitet habe.

MM: Sie haben Ihre Frustration immer wieder über die Jahre in eine Produktivkraft verwandelt, nämlich um Politiker beziehungsweise die Öffentlichkeit wachzurütteln. Besonders im Kontext von Bad Gastein. Ich erinnere mich an einen sehr schönen Titel: „Geht Bad Gastein baden?“

GG: Oh ja, ich habe immer wieder an Texten gearbeitet, um meine Sichtweise zu präsentieren. Aber ich bin in der Medienwelt nicht sehr bekannt.  

MM: Erzählen Sie mir von Bad Gastein. Sie haben 1966 die ersten Skizzen zum Felsenbad gemacht?

GG: Genau. Und ich habe kaum eineinhalb Jahre vom Modell bis zur Fertigstellung des Felsenbades gebraucht. Ich habe dem Bürgermeister damals den Vorschlag mit dem Bad gemacht, als er mich angerufen und um Hilfe gebeten hat. Ich sagte, er müsse ein Bad bauen, das „so attraktiv ist, dass die Leute deshalb und wegen des Thermalwassers nach Bad Gastein kommen“.

MM: Was passierte dann?

GG: Wir sind zu dem Platz, an dem das Bad errichtet werden sollte, gegangen. Ich sagte zum Bürgermeister, dass das eine gute Gelegenheit sei, um den Fels freizulegen. Sie dürfen nicht vergessen, ich war Pionieroffizier im letzten Krieg und musste Brücken und Straßen sprengen. Ich bin kein militanter Mensch, aber ich musste halt einrücken, und nachdem ich technisch vorgebildet war, wurde ich dorthin delegiert. Als der Bürgermeister sagte: „Da können Sie doch nicht hineinsprengen, das ist ein harter Stein“, erwiderte ich: „Herr Bürgermeister, in Bad Gastein haben Sie Gneis, eine spezielle Form von grünem Granit. Ich werde persönlich jeden Schuss angeben und beobachten.“

MM: Das hat ihm imponiert?

GG: Er hat dann ein bisschen überlegt und mich Monate später angerufen und gesagt: „Herr Architekt, wir haben jetzt in Gastein ein großes Hochwasser gehabt, der Ort ist überflutet. Wenn ich jetzt dieses Bad baue, könnte ich die Steine, die aus dem Fels herausgesprengt werden, für Schutzbauten verwenden und verkaufen.“ Und dieser Idee verdanke ich das Felsenbad.

MM: Genial!

GG: Ich habe leider Gottes in einer Zeit gelebt, wo ich nur sparen musste, es durfte nichts etwas kosten. Der Bürgermeister hat dann gesehen, dass das Felsenbad eine tolle Sache wird, und es kam zur Eröffnung. Sie haben in der Presse sehr viel Wind gemacht, weil er als Bürgermeister auch bekannt werden wollte.

MM: Wurde das Felsenbad gut besucht?

GG: Nach einem Jahr hatten wir eine Million Besucher. Dann konnte man das Kongresshaus angehen.

MM: Und die Kugeln kamen dann aber erst später, oder?

GG: Das war um dieselbe Zeit, etwas früher schon, also ungefähr 1970. 1968 ist das Felsenbad eröffnet worden, 1970 habe ich die ersten Gondeln und Kugeln gebaut. 1972 war die Eröffnung der ersten Etappe vom Kongresshaus. 1974 wurde die zweite eröffnet.

MM: Woraus bestanden die verschiedenen Etappen?

GG: Nutzbarmachen der verschiedenen Ebenen unter der Platzebene. Man wollte sehr rasch Kongresse machen. Sie sind gekommen und haben gesagt, ich möge mir unbedingt etwas einfallen lassen, um das Bad Gasteiner Thermalwasser öffentlich anzubieten. Und das Ergebnis ist die Trinkhalle auf dem Dach. Die Kugeln.

MM: Gab es bezüglich der Kugeln einen Link zu Buckminster Fuller?

GG: Nein, ich habe etwas ganz anderes gemacht, ich wollte einen Zwanzigflächner entwickeln – die einzige Kugelform, die mit linear begrenzten Flächen zu bilden ist. Und ich habe – nachdem ich oben auf knapp 3.000 Meter in Sportgastein eine Beobachtungsstation bauen sollte, von der man das Ganze rundum beobachten konnte – als alter Skifahrer daran gedacht, eine Form zu finden, die auf der Spitze eines Berges existieren kann. Von der Wirkungsweise nicht linear, sondern eben ungerichtet, nach allen Seiten. Die natürlich auch beleuchtet sein könnte, zur Orientierung.

MM: Was ist eigentlich aus den von Ihnen entworfenen Gondeln geworden?

GG: Die haben sie verkauft, nach Persien. Die ganze Bahn. Nur eine haben sie einbehalten, weil sie die Plexiglashülle eingeschlagen hatten. Die hat dann jemand entdeckt, in einem Heustadel. Heute hängt sie in der Talstation der neuen Gondelbahn, als historisches Objekt.

MM: Wie ist man in Gastein mit Ihren anderen Bauten umgegangen?

GG: Ich habe mich 1993 beschwert über den Zustand des Felsenbades, weil sie alles zerstört haben. Ich habe versucht, ihnen klar zu machen, dass alles ein gewisses Maß an Pflege braucht und vor allen Dingen eine Funktion. Man schadet einem Bauwerk am meisten, wenn die Räume nicht genutzt werden. Ich habe sogar meine Dienste kostenlos angeboten.

MM: Was hat die Eröffnung damals für Sie persönlich bedeutet?

GG: Die Eröffnung war international ein Mordserfolg. Ich habe damals eine Professur angeboten bekommen, als Nachfolger von Egon Eiermann in Karlsruhe.

MM: Wann haben Sie Ihre Vision für Bad Gastein entwickelt?

GG: Das war ganz am Anfang. Bevor ich überhaupt planerisch eingegriffen habe, habe ich eine Standortuntersuchung gemacht. Wo in Bad Gastein ein Kongresshaus, beziehungsweise ein Ortszentrum überhaupt strategisch positioniert werden könnte.

MM: Was halten Sie vom derzeitigen Zustand des Kongresszentrums?

GG: Der Zustand ist erbärmlich. Man müsste es unter Denkmalschutz stellen. Ich habe einen Aufsatz verfasst. Er dreht sich um die sogenannte Qualitätspyramide. In meiner Dissertation habe ich mich mit Wahrnehmungspsychologie beschäftigt. Dabei ist mir die Beziehung von Qualität und Quantität in Erinnerung geblieben. Ich habe beobachtet, dass Menschen, die mit der Menge spekulieren, nur Erfolg haben, wenn Sie mit geringer Qualität arbeiten. Ich bin dabei auf Folgendes von Michelangelo gestoßen. Er schreibt, die große Masse, der jedes Unterscheidungsverfahren fehle, werde immer das ehren, was sie verachten sollte, und das lieben, wovor sie zurückschrecken sollte. Qualität nimmt in dem Maße zu, als Quantität abnimmt. Und jeder Mensch, der nach der Wahrheit Qualität sucht, der wird ein Opfer dieser Beziehung.

MM: Es ist sehr interessant, dass in so einem Kontext wie Bad Gastein eine rigorose Spätmoderne ein neues Ortszentrum in solch einem historischen Ort neu ausbilden kann, oder?

GG: Ja, sehr interessant. Ein Ort, der das Dilemma aufzeigt. Das Dilemma des Architekten. Mein Buch ist ein Buch über den Sisyphus, den Architekten. Dass nur eine kleine Minderheit erreicht werden kann, liegt in der Natur der Sache. Damit müssen wir leben.

MM: Aber es war doch eine Genugtuung, dass Sie 1975 den Salzburger Architekturpreis für das Kongresszentrum erhalten haben.

GG: Ja, das war es.

MM: Wie sehen Sie die Zukunft von Bad Gastein? Sehen Sie eine Möglichkeit, das Blatt zu wenden?

GG: Wenn Bad Gastein das Ortszentrum nicht wieder mit neuem Leben erfüllt, können sie mit dem Rest der Bausubstanz nichts Wesentliches gewinnen.

Herr Garstenauer, herzlichen Dank für das Gespräch!



Das Interview erschien in ungekürzter Form im Kaleidoscope Magazin.

Neben dem Architekturpreis des Landes Salzburg erhielt Gerhard Garstenauer 1995 das Goldene Ehrenzeichen des Landes Salzburg.

Markus Miessen (*1978), Architekt, Autor und Berater. Seine Arbeit kreist um Fragen zu kritischen Raumpraktiken, zur inhaltlichen und räumlichen Konzeption von Institutionen und zur Raumpolitik. Er hat zurzeit eine Professur für Critical Spatial Practice an der Städelschule Frankfurt/Main inne und ist Gastprofessor an der USC Los Angeles. 2007 gründete Miessen die nomadische Plattform Winter School Middle East, die sich rund um den Persischen Golf verortet. Auf Deutsch erschien zuletzt „Albtraum Partizipation” im Merve Verlag.

Das Hotel Regina ist chices Townhouse und gemütliches Refugium zugleich. Wer Dalmatiner Paul kennenlernen möchte, klickt hier!

 

Das sommer.frische.kunst-Festival mit Art Weekend vom 27.07. - 30.07.2017. Hier geht´s zur sommer.frische.kunst!