2014, im September seiner Jahre, macht sich der Kinky King auf die Reise ins Monaco der Alpen: Bad Gastein, die Stadt in den Felsen. In den dampfenden Radonbädern, im Schatten des Goldbergs, will er genesen, wie einst Kaiser, Könige und Hirsche.
Kinky King, Pop-Flaneur und Mister Supergeil Friedrich Liechtensteins langjähriges Alter Ego, spielt eine wichtige Rolle auf dem neuen Konzeptalbum „Bad Gastein“. Dieser Kinky King durchläuft während seiner Reise mehrere Transformationen, vom Delphinmann bis zum Elevator Man, als der er endet im „zentralen Umschlagplatz aller paneuropäischen Exzentrizitäten“, Bad Gastein. Ich treffe Friedrich Liechtenstein das erste Mal in Berlin, um mit ihm über eben dieses exzentrische Bad Gastein und sein Album zu sprechen. Mit wehendem Trenchcoat in Schwarz gehalten, kommt Friedrich lächelnd auf mich zu. In der Hand ein paar Blatt Papier, es gab ein Meeting zum Videodreh im österreichischen Bad Gastein. Da wären wir auch schon beim Thema.
„Warum ist denn Bad Gastein so geil?“, frage ich, um dieses Wort noch einmal zu strapazieren. „Bad Gastein ist so geil, weil so viele Gebäude leer stehen. Und da, wo Leerraum ist, können die ganzen Gedanken hineinfliegen.“
Friedrich Liechtenstein schwärmt, malt berauschende Fiktionen und Visionen für die ihn so sehr inspirierende Stadt in den Alpen. Bad Gastein vermag immer noch Projektionsfläche zu sein, trotz seiner eigenen nur so von Geschichten bereicherten Vergangenheit. Kaiser, Thermalbäder, Goldberge, Heilung. Ein Weltkurort, der die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen erlebt und sich gerade erst von einer Lebenskrise erholt hat. Für Liechtenstein ist das Bad Gastein, so wie es sich jetzt darstellt, perfekt. Es ist ein sturer Drang, der ihn dazu bewegt, sich mit der Alpenmetropole auseinanderzusetzen. Es ist fast Obsession.
„Ich rutschte aus und machte merkwürdige Geräusche.
Die Frauen nannten mich dann: DELPHINMANN.“
Das neue Album des Flaneurs, Eskapisten, Entertainers und Sängers ist sein „Opus Magnum“. Die Ouvertüre erzählt von der Entdeckung des Wildbads Bad Gastein in einer lang zurückliegenden Vergangenheit, während Track 2 bereits im Jahr 2014 die Figur Kinky King auftreten lässt. Die Platte erweist Yello, Elektropop-Duo Dieter Meier und Boris Blank, und dem österreichischen Pop-Exzentriker Falco eine musikalische Referenz. Wenn bei Friedrich Liechtenstein der Kommissar D´Amour zum Telefon greift, tut er das aber, um zu sehen, ob er seine verflossene Geliebte noch einmal verführen kann. Die bereits als Single veröffentlichte Nummer „Belgique, Belgique“ trägt einen wunderbar erzählerisch, fast traumwandlerisch hinweg. Überhaupt macht das fortwährend Erzählende in Liechtensteins Stimme selbst aus einem Wort eine Geschichte.
Liechtensteins Platte ist natürlich alles andere als eine Geschichtsstunde über Bad Gastein. Sie ist „ein lange gereiftes, persönliches Herzensepos, das Tafelsilber meines Œvres“, geprägt von einer sehr persönlichen Wahrnehmung, die er wie eine Schablone auf diesen Ort legt. „Da ist dieser Typ, der fährt da hin, treibt sich mit einer Frau herum, telefoniert mit seiner Ex, geht runter an die Bar und singt ein paar Coversongs.“ Insgesamt ist die Platte anspruchsvoll, aber straight und lange gereift. Nach dem Hype um „Supergeil“ ist das Timing genau richtig, die kreative Arbeit an „Bad Gastein“ ist allerdings schon vor Edeka entstanden.
Ein Gespräch mit Friedrich Liechtenstein ist wie ein gutes Pingpong-Spiel. Manchmal härter, manchmal gemächlicher, aber der Ball bleibt am Tisch und in Bewegung. Er ist schelmisch, wenn er davon erzählt, wie er auf einer Veranstaltung in Baden Baden, der großen Kur- und Bäderstadt, mit großen Gesten von Bad Gastein geschwärmt hat und den Anwesenden prophezeite, dass man sich im nächsten Jahr wohl eher dort zu gesellschaftlichen Ereignissen einfinden werde.
Friedrich spricht auch über die Marke Friedrich Liechtenstein, von der er hofft, dass er sie so anreichern kann, dass die Leute „Bock haben“, ihm zu folgen. Er ist sich bewusst, dass er auf seinem Weg einige verlieren wird, die ihm jetzt aufgrund seines Erfolges mit „Supergeil“ zujubeln, aber das findet er nicht weiter tragisch. „In ein paar Jahren kommt ein neuer Song mit ,geil‘. Manche verwechseln jetzt schon ,Supergeil‘ mit ,Leider geil‘.“ „Leider geil“, ein erfolgreicher Song von Deichkind aus 2012. Und dann gab es schließlich noch Bruce & Bongo mit schlicht „Geil“, dem Nummer-1-Hit in Deutschland 1986. „Geil“ wurde damals schon als das erfolgreichste deutsche Wort bezeichnet.
Friedrich Liechtenstein weiß, er kommt aus der Nummer wieder heraus. Er hat einige Filmangebote, die er wahrnehmen möchte, und spielt mit dem Gedanken, in einem anderen Werbefilm aufzutauchen. „Dann hat man den Teufel mit dem Belzebub verscheucht, sozusagen, und man sieht, der Typ macht doch alles Mögliche.“ Er hat gelernt, man hat im Leben drei Aktienkurven zur Auswahl. Eine führt steil nach oben, eine geht hoch und hinunter wie das Leben, die dritte sinkt ab und bleibt dort auch. Welche man für sein Leben kaufen sollte? Die letzte, ganz klar, denn die bringt am meisten. Sie sinkt auf ein Plateau, aber auf dem performt sie beständig.
Wir sind nicht auf dieser Welt,
um perfekt zu sein.
Der Schnee ist perfekt, der Mond.
Wir sind auf dieser Welt,
um die falschen Frauen zu lieben.
Verstehst du mich?
Cornucopia idea, so könnte man Friedrich Liechtenstein bezeichnen, ein Füllhorn an Visionen. Er spricht von Algen, von Symbiose und Verwandlung. Das ist es, was ihn an Algen so fasziniert. Sie sind modern. „Das Zeitalter der Eiche ist vorbei, das der Algen hat begonnen.“ Aber auch das Thema Gentrifizierung beschäftigt ihn. Dennoch führt unser Gespräch immer wieder zurück zum „Metropolis der Alpen“, Bad Gastein. „Ein Korallenriff ist doch auch etwas, das alle Menschen schön finden, eine Art Flagship-Store für Meeresbewohner. So könnte man auch Bad Gastein sehen, einen Ort, der alles zulässt, mitsamt den Verfehlungen. Die Vielfalt ist schön und macht es stabil.“ Und er setzt nach: „… das ist wie in Berlin nach dem Mauerfall. Da sind alle hierher gekommen. Das würde für Bad Gastein auch funktionieren. Ohne Zweifel. Das ist wie ein Gesetz.“ Wir malen uns rauschende Feste aus und erträumen von Berlin das Bad Gastein, wie wir es uns vorstellen.
Endlich Bad Gastein
Der Schmuckeremit schmückt jeden Ort. Auch Bad Gastein. Oder vielleicht besonders Bad Gastein. So unorthodox wirkt er in der Kulisse der Belle-Epoque-Bauten, so perfekt passt er hinein. Wir begegnen einander wieder in der Villa Excelsior, einem Hotel in Bad Gastein. Friedrich ist mit seinem Team angereist, um Videos für sein Album zu drehen. Wir trinken erstmal alle gemeinsam auf unsere illustre Zusammenkunft. Da, wo schon Kaiser sich mit ihrer Hofschar tummelten, der Schah von Persien mit seiner Entourage urlaubte, Shirley Bassey und Liza Minnelli große Auftritte feierten und Falco Urlaub machte. Wo rauschende Feste gefeiert wurden, Exzess und Exzentrik immer ihren Platz gefunden haben. Auch unser Abend hüllt sich in einen Rausch. Am nächsten Tag erinnere ich mich zwar, dass ich mit Friedrich in der hoteleigenen Kapelle im Beichtstuhl Platz genommen habe, nicht mehr aber daran, was ich gebeichtet habe.
Die nächsten Tage verbringen wir arbeitend. Die Nächte feiernd. Als Friedrich mit seinem Filmteam abgereist ist, bleibe ich mit meinem Team noch zurück. Die „Friedrichfizierung“ ist in vollem Gange. Die Männer sprechen „Friedrich“. Auch wir Frauen müssen mitmachen. Wir fragen uns, wie viele Zigaretten wir rauchen, wie viele Whiskeys wir trinken und wie viele Nächte wir durchfeiern müssen, um diese wunderbare tiefe Stimme zu erlangen.
Haben sich Friedrich Liechtenstein, der Delphinmann oder die Transformation Elevator Man Bad Gastein so erträumt? Möglich. Es ist der Ort, der den Freiraum lässt, seine Visionen hineinzuprojizieren. Und auch zu leben. Auf der Website von „Heavy Listening“ heißt es: Liechtenstein ist made for the future. Aber ist die Zukunft bereit für ihn? Wenn die Zukunft in Bad Gastein ist, dann auf jeden Fall. Bad Gastein ist bereit. Aber so was von.